autistischer JungeWir Menschen sind soziale Wesen, wir leben in einer Gemeinschaft und definieren uns durch den Kontakt mit unseren Mitmenschen und unsere Stellung in der Gesellschaft. Ohne erfüllende Beziehungen mit anderen Leuten leben zu müssen, erscheint den meisten Menschen als absolut furchtbarer Zustand. Tatsächlich ist aber genau das für viele Menschen Realität – und hier ist nicht die Rede von Strafgefangenen in Isolationshaft, sondern von Menschen, die unter einer autistischen Störung leiden. Der Autismus ist somit unser heutiges Thema.

Was ist Autismus?

Autismus ist eine schwerwiegende Entwicklungsstörung, die in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen vorliegen kann und vermutlich genetisch bedingt ist. Der Begriff kommt von dem griechischen Wort für „Selbst“ (= „autos“)  und meint, dass der Betroffene in sich selbst gefangen ist. Eine leichte autistische Störung lässt den Betroffenen zwar manchmal sonderbar wirken, schränkt ihn aber nur bedingt in seiner Lebensführung ein. Ist der Autismus allerdings ausgeprägt, hat er ähnlich wie eine schwere Behinderung massive Auswirkungen auf das Leben des Patienten. Die Leistungseinschränkungen, die ein Betroffener erlebt, hängen aber vermutlich nicht mit einer zwangsläufigen Intelligenzminderung zusammen. Denn obwohl Autisten häufig unter Leistungsminderungen und Lernschwächen leiden, liegt das doch weniger an ihrer Intelligenz, als an der „anderen“ Wahrnehmung ihrer Umwelt.

Angaben über die Häufigkeit des Krankheitsbildes schwanken stark, was unter anderem auch daran liegt, dass die Übergänge zwischen Normalität und Autismus häufig fließend sind. Fest steht aber, dass deutlich mehr Männer als Frauen von der Störung betroffen sind.

Es gibt verschiedene Formen von Autismus, bei denen sich das Krankheitsbild jeweils unterscheidet. Eines haben aber alle Formen des Autismus gemeinsam: Menschen mit einer autistischen Störung haben Schwierigkeiten, mit anderen zu kommunizieren. Von diesen Kommunikations-Problemen ist aber nicht die Sprache selbst betroffen, sondern vielmehr die komplette Wahrnehmung: Autisten können Gefühle, Stimmungen, Sinnbilder und vieles mehr nicht einordnen oder nachempfinden, daraus entstehen Missverständnisse, die Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit wird stark eingeschränkt. Dieses Fehlen grundlegender Fähigkeiten kann so weit gehen, dass schwere Autisten überhaupt nicht in der Lage sind, Kontakt mit anderen einzugehen, sondern ihre Mitmenschen als unbelebte Dinge betrachten.

Welche Formen von Autismus gibt es?

Wie bereits erwähnt, unterscheidet man bei autistischen Störungen mehrere unterschiedliche Formen mit unterschiedlicher Symptomatik. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert hier drei klar von einander abgrenzbare Formen: Den frühkindlichen Autismus, den Asperger Autismus und den Atypischen Autismus.

Frühkindlicher Autismus

Der frühkindliche Autismus, auch Kanner-Syndrom genannt, ist die bekannteste autistische Störung. Er tritt im Normalfall bereits vor dem dritten Lebensjahr auf und zeigt sich schon sehr früh an dem fehlenden Interesse des Betroffenen an Sozialkontakten. Oft baut ein Mensch, der unter frühkindlichem Autismus leidet, nicht einmal eine Beziehung zu seinen Eltern auf, sondern beschäftigt sich lieber mit unbelebten Gegenständen. Berührungen und Zuneigungsbekundungen können häufig nicht richtig eingeordnet werden und werden deshalb vermieden oder abgelehnt. Häufig kapseln sich Kanner Autisten deshalb fast vollständig von anderen Menschen ab und ziehen sich in die Isolation ihrer eigenen Ding-Welt zurück. Veränderungen sind für einen solchen Autisten nur sehr schwer zu verkraften, schon ein Umstellen der Möbel kann eine Angstattacke auslösen. Die Sprachentwicklung von Kanner Autisten ist oft auffällig: Die Sprachmelodie ist monoton und frei von bildlichen oder abstrakten Elementen, für sinnbildliche Übertragungen, Ironie und ähnliches hat der Betroffene kein Verständnis, stattdessen wird Sprache wortwörtlich wahrgenommen und praktiziert. Etwa ein Drittel der Betroffenen fühlt so wenig Notwendigkeit zur Kommunikation, dass es niemals die Fertigkeiten zur lautsprachlichen Kommunikation erwirbt. Menschen, die an einem starken Kanner Autismus leiden, sind nicht in der Lage sich in die Gesellschaft einzufügen und benötigen häufig eine lebenslange Begleitung und Unterstützung, um ihr Leben innerhalb fester Rahmenbedingungen meistern zu können.

Asperger Autismus

Im Gegensatz zu Patienten mit Kanner-Syndrom, ziehen sich Menschen, die am Asperger-Syndrom leiden, nicht in sich selbst zurück, sondern suchen den Kontakt zu anderen. Der starke Wunsch nach Sozialkontakten ist vorhanden, die Umsetzung gestaltet sich allerdings wegen der bereits genannten für jede Form von Autismus typischen Kommunikationsschwierigkeiten problematisch. Da ein Asperger Autist sich nicht oder nur sehr schwer in anderen Hineinfühlen kann, sind seine Versuche, soziale Kontakte aufzubauen oft unbeholfen und selten erfolgversprechend. Durch fehlendes Distanzempfinden überfordern Asperger Autisten ihre Mitmenschen oft. Zum Teil ist zusätzlich die Impulskontrolle eingeschränkt, wodurch es zu unkontrollierten Aggressionen, aber auch zu überschwänglichen Liebesbekundungen kommen kann. Dazu kommt häufig eine Dyspraxie, was bedeutet, dass der Betroffene handwerklich und praktisch häufig sehr ungeschickt ist und vorhandene Handlungsentwürfe oft nicht in die Tat umsetzen kann. Logische und abstrakte Fähigkeiten sind bei dieser Form des Autismus allerdings normalerweise gut ausgeprägt, Interessen und Hobbys werden nicht selten mit einer erstaunlichen Leistungsfähigkeit verfolgt, Wissen zu einzelnen Fachbereichen beinahe lexikalisch angesammelt und wiedergegeben. Asperger Autisten  können so ein weitgehend normales Leben führen, auch wenn die soziale Integration häufig ein Leben lang Probleme bereitet.

Atypischer Autismus

Der Atypische Authismus ist eine Unterform, die große Ähnlichkeit mit dem Kanner-Syndrom aufweist, allerdings nicht alle Diagnose-Kriterien erfüllt. Damit ist sie so etwas wie ein Sammelbegriff für untypische oder unvollständige Formen von Autismus.

Autismus und Hochbegabung

Spätestens seit dem Film „Rain Man“ ist das Klischee von Autismus häufig mit dem Phänomen der Hochbegabung gekoppelt – dies entspricht allerdings nur in wenigen Fällen der Realität. Normale Autisten mit dem Kanner-Syndrom sind nicht häufiger von einer Hochbegabung betroffen, als andere Menschen auch. Bei High Functioning Autismus, einer Ausprägungsform, bei der es zu keinerlei Intelligenzminderung kommt, wirkt der Betroffene allerdings gelegentlich „klüger“, weil er sich nicht von zwischenmenschlichen Regungen ablenken lässt, sondern sich beharrlich dem Sachverhalt widmet, der sein Interesse weckt. Zwar ist eine Hochbegabung auch bei einem Autisten nicht ausgeschlossen, allerdings kann er durch seine krankheitsbedingte Einschränkung nicht immer auf seine Begabung zurückgreifen. Inselbegabungen sind hier die häufigste Form: Der Betroffene zentriert seine Talente auf lediglich einen Bereich seines Lebens, in Bezug auf den Rest ist er nicht selten hilflos – dieses Phänomen nennt man Savant-Syndrom.

Bei dem Asperger Autismus kommt man dem Klischee des klugen Autisten allerdings schon näher, denn bei den Betroffenen dieser Autismus-Form liegen normalerweise keine Intelligenzminderungen vor, stattdessen ist die Intelligenz normal bis hoch ausgeprägt. Da bei diesem Krankheitsbild die Fähigkeit, abstrakt und logisch zu denken gut ausgebildet ist, entwickeln Betroffene häufig ein verstärktes Interesse für den mathematischen oder naturwissenschaftlichen Bereich und zeigen hier außergewöhnliche Begabung und Leistungsfähigkeit. Durch das andere Denken und Wahrnehmen von Asperger Autisten gehen manche Forscher auch davon aus, dass bei diesem Krankheitsbild ein erhöhtes Maß an Kreativität vorhanden ist, hier gibt es allerdings noch keine beweiskräftigen Studien.

Autismus und die Prognosen für die Zukunft

Da Autismus vermutlich genetisch bedingt ist, ist er nicht heilbar und es gibt auch keine wirkungsvolle Therapie für die Krankheit – was allerdings nicht heißt, dass man der Störung auf Gedeih und Verderb ausgeliefert wäre. Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des Krankheitsbildes werden auch immer neue Hilfsmodelle entwickelt. Wichtig ist hier, dass Autismus nicht einseitig behandelt werden kann: Um die Symptomatik bessern zu können, müssen mehrere Hilfsinstanzen in einem eng verwobenen System zusammenarbeiten. Das Hilfesystem sollte schon bei der frühkindlichen Förderung beginnen, auch soziale Trainingsmaßnahmen und sozialpädagogische Begleitung sind sinnvoll, um Autisten die für die Lebensbewältigung notwendigen Fertigkeiten zu vermitteln. Und auch Eltern und andere nahe Verwandte sollten nicht zögern, Hilfe aufzusuchen und anzunehmen, um die Belastung durch ein autistisches Kind meistern zu können. Dann ist auch für einen Autisten ein weitgehend normales Leben möglich. Ein Ressourcen-orientiertes Herangehen an die Krankheit ermöglicht es einem Betroffenen auch, seine teilweise außergewöhnlichen Begabungen zu seinem Vorteil zu nutzen. Wichtig ist auf jeden Fall, dass Autismus als solcher entstigmatisiert wird, um den Betroffenen ein Leben innerhalb der Gesellschaft zu ermöglichen.

Weitere Informationen finden Sie unter: Autismus Deutschland e.V.

 

Viele Grüße
Petra Fischer
Gesund24h

Autismus – gefangen in der eigenen Welt

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